Für Autofahrer mit Euro-4-Diesel gilt in Stuttgart schon ein Fahrverbot. Aber die nächste Stufe, der Ausschluss von Euro-5-Autos aus dem Stadtgebiet, könnte abgewendet werden, wenn die Belastung mit Stickoxiden schnell deutlich gesenkt wird. Daran könnten Luftfilter entlang der neuralgischen Straßenabschnitte einen wichtigen Anteil haben.

Seit November stehen 17 Filtersäulen in der Nähe der berühmt-berüchtigten Kreuzung Neckartor – und seither hat sich schon einiges getan. 10 bis 30 Prozent der Schadstoffe könne man damit aus der Luft filtern, verspricht der Hersteller Mann + Hummel. Bisher gilt das zwar nur für Feinstaub, aber das gleiche Ergebnis soll auch für Stickoxid erzielt werden können.
„Die Filtersäulen wirken“, sagte Christoph Erdmenger, Leiter nachhaltige Mobilität im baden-württembergischen Verkehrsministerium, bei der Vorstellung der Technologie in Ludwigsburg: „Das macht uns optimistisch, dass wir weitere Verkehrsverbote vermeiden können.“ Die Nachricht erinnert an den neuesten Coup der Stadt Kiel, wo diese Woche ein „Luftstaubsauger“ in der Größe eines Kleinlasters aufgestellt wurde – in der Hoffnung, die Schadstoff-Werte an der einzigen Messstelle der Stadt könnten sich ausreichend verbessern.
Filtersäulen mit enormer Effizienz
Das Projekt in Stuttgart ist zwar erst in der Pilotphase, hat aber gleichwohl einen ganz anderen Reifegrad. Während Kiel auf das Start-up Purevento vertraut, greift man in Baden-Württemberg auf die Kenntnisse der Autobranche zurück. Die Filtersäulen in Stuttgart basieren auf der Technologie für Auto-Innenraumfilter von Mann + Hummel. Das Familienunternehmen aus Ludwigsburg, nach eigenen Angaben „Weltmarktführer auf dem Gebiet der Filtration“, hat mit 20.000 Mitarbeitern zuletzt einen Umsatz von gut 4 Milliarden Euro erwirtschaftet, überwiegend mit Produkten für die Autoindustrie.
„Dort haben wir die Effizienz gelernt“, sagt Geschäftsführer Werner Lieberherr mit Blick auf den Energieverbrauch einer Säule. Diese braucht nur 1500 Watt, also etwa so viel wie ein gewöhnlicher Haushaltsstaubsauger, obwohl der eingebaute Ventilator doch so viel mehr Luft ansaugt, wie Gunnar-Marcel Klein aus der Entwicklungsmannschaft von Mann + Hummel plastisch beschreibt: der gesamte Luftraum entlang einer 280 Meter langen und 25 Meter breiten Straße rund ums Neckartor werde bis auf eine Höhe von 15 Metern durch die 17 aufgestellten Säulen alle zwanzig Minuten einmal komplett gereinigt. „Eine Wirkung in dieser Größenordnung ist ungewöhnlich“, erklärt er zurückhaltend – und bekommt Rückendeckung von der Wissenschaft.
Das Pilotprojekt in Stuttgart wird nämlich seit November vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) begleitet. Eine Masterarbeit befasse sich mit Energieeffizienz, Abscheidung und Haltbarkeit der Filter, um das Optimum für den Betrieb zu finden, berichtet Professor Achim Dittler vom Institut für Mechanische Verfahrenstechnik am KIT und nennt erste Ergebnisse: „Nach Auswertung erster Messungen können wir nachweisen, dass die Minderungswirkung von 30 Prozent im Nahbereich und über 10 Prozent in der Fläche erreicht wird.“
Will heißen: Selbst wenn so eine Filtersäule nicht unmittelbar neben einer Schadstoff-Messstelle plaziert ist, könnte die Stickoxidbelastung von beispielsweise 43 auf 39 Mikrogramm je Kubikmeter Luft sinken, und damit unter den relevanten Grenzwert.
Auch in Ludwigsburg sollen Säulen aufgebaut werden
Das Pilotprojekt in Stuttgart beschränkt sich bisher noch auf Feinstaub. Jetzt hat Mann + Hummel aber einen Kombifilter entwickelt, der zusätzlich Stickoxide einfängt. Dazu wird ein Aktivkohlefilter eingesetzt, dessen Fasern aus Kokosnuss-Schalen eine besonders poröse und damit große Oberfläche schaffen.
In jeder der gut drei Meter hohen Filtersäulen, die aus drei Würfeln von knapp einem Kubikmeter bestehen, sei eine Filteroberfläche in der Größe von 3000 Fußballfeldern eingebaut, beschreibt Mann + Hummel-Chef Lieberherr die Wirkungsweise des Materials. Mit einer solchen Filtersäule kann man in der Stunde 170.000 Kubikmeter Luft filtern.
Solche Werte habe man bei anderen Anbietern nicht gefunden, heißt es im Verkehrsministerium. So habe zwar Audi in Heilbronn einen Filter nach dem gleichen Prinzip im Test, dieser könne aber in der Stunde nur 2500 Kubikmeter Luft filtern.
Weil man im Verkehrsministerium überzeugt ist von der Entwicklung von Mann + Hummel, sollen nun alle Filter-Säulen mit dem Aktivkohlefilter aufgerüstet werden und die Zahl der Säulen auf 23 erhöht werden. Außerdem wurde ein zweites Pilotprojekt in gleicher Größenordnung für die Stadt Ludwigsburg beschlossen, die wie Stuttgart zu den zehn deutschen Städten mit den schlechtesten Luftwerten zählt.
Ein Wettrennen gegen die Zeit
Eine große Investition ist das nicht. Eine Säule kostet nach Angaben von Mann + Hummel rund 20.000 Euro, für die Installation und den Anschluss ans Stromnetz müssen die Kommunen jeweils noch einmal halb so viel rechnen. Alle zwei Wochen muss das Filtermaterial getauscht werden, was 200 Euro je Stück kostet. Die Entsorgung sei unproblematisch, sagt Mann+Hummel-Entwickler Klein: in der thermischen Verwertung werde das Material in Sauerstoff und Stickstoff zersetzt, es bleibe ungiftige Asche.
Ob die Entwicklung von Mann + Hummel noch rechtzeitig kommt, um in Stuttgart die Fahrverbote für Euro-5-Dieselautos zu verhindern, ist noch unklar. Die Landesregierung ist an ein rechtskräftiges Urteil gebunden, das solche Fahrverbote ab dem Jahr 2020 vorschreibt, falls nicht zuvor die Grenzwerte eingehalten werden.
In der grün-schwarzen Koalition ist in dieser Woche ein heftiger Streit darüber ausgebrochen. Für Mann + Hummel ist Stuttgart wiederum nur ein erster Schritt. Pilotanlagen der „Filter Cubes“ sind auch in Schanghai, Delhi und Bangalore installiert. Außerdem entwickelt der Autozulieferer Filtrationskonzepte, die sich beispielsweise in Werbetafeln oder Informationswänden an Bushaltestellen integrieren lassen.
Источник: Corruptioner.life